Mittwoch, 4. Oktober 2006

Sommer auf Rügen (7)

Als sie aus dem Schlaf schreckte und die Augen aufriss, spürte sie rhythmische Hammerschläge gegen ihren Kopf wummern. Grelles Licht stach ihr in die Netzhaut und zwang die Augenlider wieder nach unten. In ihrem Mund klebte eine überdimensionale, pelzüberzogene Zunge am Gaumen, ihr ganzer Körper fühlte sich an, als sei sie als Gladiatorin in der Löwengrube aufgetreten. Gequält stöhnte sie auf, als sie den Oberkörper aufrichtete und das Hämmern in ihrem Kopf noch lauter und schmerzhafter wurde. Sie musste husten und aus dem Mundwinkel rann ihr eine scharfe Flüssigkeit, die nach Sperma schmeckte.
Das macht überhaupt nichts, sagte Regina zu sich selbst, während sie sich erhob, das kann jedem mal passieren. [*] Eine gute Portion Sarkasmus, so fand sie, half einem, mit fast allem klar zu kommen.

Gut zwei Stunden später hatte Regina Zölis so etwas wie eine Bestandsaufnahme zu Wege gebracht. Das Hotelbett hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Laken und Bezüge waren blutverschmiert und teilweise zerrissen. Aus einem Riss in der Matratze quoll Latexschaum. Überall um das Bett herum, auf Simsen, Tischchen Stühlen und auf dem Teppich waren Kerzenstummel und Wachslachen verteilt, es roch wie in einem Zoogehege.

Ihr Körper war ebenso verwüstet worden wie das Zimmer. Alle Glieder waren mit blauen Flecken übersäht, die Hand- und Fußgelenke angeschwollen, wo sie offenbar an die Bettpfosten gefesselt worden war. An Brüsten, Bauch, Oberschenkeln und Gesäß hatte Regina Schnittwunden davon getragen, nicht tief, eher wie symmetrische Ornamente, die brannten wie Höllenfeuer. An ein paar Stellen ihres Körpers fand sie Brandmale, die zweifellos durch das Ausdrücken brennender Zigaretten entstanden waren. All ihre Körperöffnungen waren missbraucht worden, Sperma und Kerzenwachstropfen über ihren ganzen Körper verteilt. Lediglich Kopf, Hals und ihr Dekolletee waren vollkommen unversehrt, sah man einmal von einer versengten Haarsträhne ab.

Nachdem sich die junge Frau gesäubert und verarztet hatte und sich daran machen wollte, das Zimmer zumindest notdürftig aufzuräumen, fand sie auf dem Sekretär einen Stapel Papier. Es waren Fotokopien ursprünglich handgeschriebener Seiten. Auf dem Deckblatt stand in einer Schrift, die Regina von Verrechnungsschecks kannte: In zehn Schritten zur eingeleiteten Wiedergeburt, von C. Steiner


Regina Zölis setzte sich und begann zu lesen. Natürlich verstand sie nicht einmal die Hälfte der wissenschafftlichen Abhandlung, auch wenn sie auf deutsch verfasst war. Aber eines war sogar ihr unmissverständlich klar: Constantin Steiner reklamierte für sich, ein Verfahren erfunden zu haben, mittels dessen man das eigene Bewusstsein mittels einer präparierten Blutinjektion an andere Personen weitergeben konnte. Dies habe der alte Steiner --so der Text-- im Selbstversuch nachgewiesen.
Auf der Rückseite des Deckblattes waren in einer anderen Handschrift mit Bleistift untereinander drei Namen vermerkt: C. Steiner, C. Sander, C. Sturm …

Wenn sich nicht entweder Regina oder dieser Sturm auf dem besten Wege befanden, dem Irrsinn zu verfallen, dann trug ihr jugendlicher Folterknecht tatsächlich einen Teil der Leben von Constantin Steiner und Christoph Sander in sich. Ein Schaudern durchzog den geschundenen Körper der jungen Frau. Einerseits, mit dem vernunftgesteuerten, alltagstauglichen Teil ihres Gehirns verwies sie diese unglaubwürdige Geschichte ins Reich des schizophrenen Wahnsinns; aber andererseits sagte ihr die Intuition, dass das alles angesichts des Erlebten durchaus wahr sein konnte.


Mitterweile war es fünf Uhr nachmittags: Regina beschloss, erst einmal etwas Leichtes essen zu gehen, um ihren flauen Magen zu besänftigen. Was in dieser verworrenen Angelegenheit zu tun sei, musste wohl überlegt werden. Sie zog Jeans und einen langärmeligen Pullover an, setzte ihre Sonnenbrille auf, um ihre blutunterlaufenen Augen zu verdecken, und ging nach unten in den Speisesaal.

Sie war früh dran für das Abendessen im Hotel und saß alleine vor der Speisekarte, als Blondchen, die kleine Tanja Winter, hereingelaufen kam und sich neben Regina Zölis setzte.
Guck mal!, Tanja sprach in dem wichtigtuerischen, von Selbstmitleid getragenen Tonfall kleiner Kinder, für die das eigene Unglück stets das Weltwichtigste war. Mich hat heut Nacht ein Tier gestochen! Das Mädchen streckte Regina ihr Ärmchen entgegen und zupfte ein buntes Kinderpflaster aus der Ellenbeuge. Genau dort wo dünne blaue Äderchen durch die helle Haut schimmerten, war ein dunkelroter Punkt zu sehen, der von einem bläulich-violetten Hof umgeben war.

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