Donnerstag, 7. September 2006

Frauenwirtschaft

Nach dem ganzen Gewese um Albert hieß die P. dann ja Frau Koletzki. Die Folgen des Vorfalls in der Stadtbücherei hatten die Freundschaft zwischen ihr und mir schwer belastet. Nicht etwa weil ich ihr Vorwürfe gemacht hätte wegen unschicklichen Verhaltens! Auch nicht weil sie mich nicht mehr hätte sehen wollen. Aber wie sie es angekündigt hatte, nutzte die P. in der Folge jede sich bietende Möglichkeit, sich an Albert heranzumachen. Mir jedoch war es unmöglich, die Gegenwart dieses Typen zu ertragen. Er hörte nicht auf damit, mich mit den gleichen gierigen Blicken zu perforieren, mit denen er uns in der Bücherei angestarrt hatte. Ich konnte mich nicht mehr in seiner Nähe aufhalten, ohne dass Übelkeit in mir aufstieg.

Merkwürdig, wie schnell aus dem vertrauten Umgang zweier Freundinnen Teilnahmslosigkeit werden kann, wenn auf einmal Männer ins Spiel kommen, die nicht ausschließlich die Neugier eines Mädchens stillen. Ja, ich war wohl enttäuscht, verletzt und meinetwegen sogar eifersüchtig; natürlich nicht weil ich mir auch einen Albert gewünscht hätte, sondern andersrum, weil er mir die Freundin weggenommen hatte.

Nach Ende der Sommerferien tauschten Albert und ich in stillschweigender Übereinstimmung die Sitzplätze. So konnten sich die P. und er auch noch während des Unterrichts gegenseitig befummeln, und ich kehrte zurück an die Seite der M. Deren erste Worte, nachdem ich mich auf meinem alten Platz niedergelassen hatte, spiegelten ihre ganze Erleichterung wider: Na, Gott sei Dank, und hoffentlich nie wieder!


Was sich dort in der Bücherei während der Sommerferien zwischen der P., Albert und mir zugetragen hat, habe ich der M. erst viele Jahre später erzählt. Sie akzeptierte kommentarlos, dass ich nicht darüber sprechen wollte, und machte sich an Hand der offensichtlichen Tatsachen ihren Reim auf alles.
Überhaupt staunte ich über die Verwandlung, die die M. durchgemacht hatte. Jede Art von Zickigkeit, Bösartigkeit und Vorwurf hätte ich erwartet; eifersüchtige Fragen, warum ich mich so zurückgezogen hätte, was die P. zu bieten gehabt hätte, was sie selbst nicht hätte. Statt dessen aber bot mir die M. ohne ein Wort über das vergangene Jahr zu verlieren ihr Vertrauen an. Ihrer Feinfühligkeit ist es zu danken, dass wir innerhalb von wenigen Monaten zurück in eine freundschaftliche Vertrautheit fanden, die dreizehn Monate lang nicht einmal im Ansatz vorhanden gewesen war.

Die M. gestand mir in einem Augenblick besonderer Verbundenheit, dass ihr auf einmal klar geworden sei, wieviel ihr meine Freundschaft bedeutete, als sie sich wegen der Gerüchte um Aaron und mich beleidigt zurückgezogen und darauf gewartet hatte, dass die P. oder mindestens ich wieder auf sie zukämen. Als das nicht passierte, habe sie sich geschworen, solche Brüche nicht noch einmal zu provozieren, sollte sie je noch einmal eine Chance bekommen.


Als nach dem Abitur feststand, dass wir beide Studienplätze in der benachbarten Großstadt bekommen würden, bezogen die M. und ich eine gemeinsame Wohnung. Spätestens von da an galten wir bei vielen Freunden und Bekannten als lesbisches Paar. Ich muss zugeben: Unser immer vertrauterer Umgang miteinander in einem Alter, in der die beste Freundin längst dem ersten, zweiten oder sogar schon dritten Freund Platz macht, legte diese Schlussfolgerung durchaus nah. Manchmal behandelten wir uns tatsächlich wie ein frisch verliebtes Pärchen, hielten in der Öffentlichkeit Händchen oder küssten uns auf den Mund, wenn uns danach war.

Tatsächlich aber war nichts dran an den Gerüchten um die sexuelle Orientierung der M. und mir. Waren wir zu zweit alleine, kam es schon manchmal vor, dass ich mich nach einer zärtlichen Berührung verwirrt zurückzog. Der Grund für meine Verwirrung waren jedoch nicht Zweifel an meinen eigenen Gefühle für die M., sondern Befürchtungen, die Freundin könne sich einseitig in mich verliebt haben.

Als ich eines Abends einem Kuss der M. auswich und mich ins Badezimmer zurückziehen wollte, ging sie mir nach. Hör mal, Schickse, sagte die M. Ich mag es, zärtlich zu dir zu sein. Für mich ist das eine Ausprägung der Freundschaft, die ich dir gegenüber empfinde. In diesem Moment muss ich wohl furchtbar erschrocken ausgesehen haben, denn die M. brach in Gelächter aus, bevor sie weitersprach: Du solltest mal dein Gesicht sehen! Verdammt, ich habe keinerlei sexuelles Interesse an dir. Wie du vielleicht weißt, bin ich im Gegensatz zu dir mit zwanzig noch immer Jungfrau. Und ich bin total hetero und brenne darauf, es mit einem Mann zu treiben. Aber es muss der richtige sein. Damit wir uns verstehen: Frauen kommen dafür nicht in Frage. Weder du, noch andere.


Ich habe seither immer wieder darüber nachdenken müssen, was für eine merkwürdige Beziehung die M. und ich damals zueinander pflegten. Wir waren uns wohl gegenseitig Aufpasser, Tröster und Ersatzbefriediger (in ausschließlich intellektuellem, nicht körperlichem Sinn) für die fehlenden Erfahrungen und Partnerschaften mit Männern. Wir beschützten einander vor den schnellen Vorurteilen der Umwelt und vor den aggressiven Anmachen selbsternannter Don Juans, an denen es keineswegs mangelte in unseren Studentenleben.
Ganz nebenbei machte uns das Lesbentheater auch richtig Spaß. So legte ich mir damals gezielt einen Kurzhaarschnitt zu, verzichtete auf Schminke und feilte meine Fingernägel kurz. Das sei die größtmögliche Lüge, kommentierte die M. meinen ersten Auftritt als Butch. Denn wenn, dann sei ja wohl sie der Mann in unserer Beziehung. Womit sie übrigens Recht hatte.

Dass wir mit unserem Theaterspiel, ohne es zu wollen, die sensibleren Männer verschreckten, auf die wir andererseits wie die Burgfräulein auf ihre herbeigesehnten Prinzen warteten, wurde uns erst klar, als Pablo in unsere Frauenwirtschaft hereinschneite.

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