Mittwoch, 23. August 2006

Immer die Falschen

Am ersten Schultag nach Neujahr sitzen wir an unseren Schulbänken und schreiben an einer Deutscharbeit, einer Interpretation. Fontane, der Stechlin. Die Heizung bullert, weil es eiskalt draußen ist, und die trockene, ein wenig nach Lack riechende Luft beißt mich in der Nase. Trocken ist auch der Stoff der Aufgabe. Der Stechlin ist so ziemlich das Trockenste, was man Schülern überhaupt antun kann. Ich schreibe gerade: Die Handlung des Romans ist langweilig dürftig, als …

Peng!

… die Türe zum Klassenzimmer von außen aufgestoßen wird und gegen die Wand knallt. Mein Herz macht einen Doppelsprung vor Schreck, und aus dem Komma, zu dem ich angesetzt hatte, wird ein dünner, blauer Regenwurm, der über meinen Aufsatz kriecht.

Alle starren in Richtung Türe, in deren Rahmen ein merkwürdiger Kerl steht. 'tschuldigung, sagt er an den Lehrer gewandt, und ich denke: Was ist das denn für ein kleiner Schwarzer?

Der Typ war vielleicht einen halben Kopf kleiner als ich, aber von stämmigem Wuchs mit einem breiten Kreuz. Sein Kopf war seitlich rasiert worden, jedenfalls vor einiger Zeit, und oben trug er das Haar etwas länger in einem rabenschwarzen Irokesen. Wangen und Kinn waren von dichten, ebenfalls schwarzen Bartstoppeln bedeckt.
Man muss sich den Kerl ein bisschen wie Robert De Niro im Film Taxi Driver vorstellen. Er wirkte merkwürdig alterslos; zumindest in den Augen einer Siebzehnjährigen hätte er ebenso gut zwanzig wie dreißig sein können. Außerdem ging von dem Typen eine unruhig machende Ausstrahlung aus, etwas Animalisches.


Niemand spricht auch nur ein Wort, aller Augen sind auf ihn gerichtet. Er trägt eine schwarze Lederjacke mit nassem Pelzkragen, in der rechten Hand eine Aktentasche und in der linken einen Motorradhelm.

Ach, krächzt Neuberger, unser Lehrer, der als erster wieder die Fassung erlangt. Ich habe ganz vergessen anzukündigen, dass ihr einen neuen Mitschüler bekommt. Das hier ist Albert Koletzki. Der Neuberger steht vom Pult auf, an dem er in der Zeitung geblättert hat, und geht auf den Neuen zu. Hallo Albert, kommen Sie rein und setzten sich erst mal.

Alle glotzen noch immer den kleinen Schwarzen an als wäre er ein Wesen vom anderen Stern. Der setzt sich in Bewegung und geht von der Türe an der Tafel und an Neuberger vorbei zur Fensterreihe. Und auf einmal ist ein Tuscheln und Wispern zu hören, denn jetzt sehen es alle: Albert hinkt kräftig beim Gehen. Sein rechter Fuß ist irgendwie anders, größer als der linke. Oh Mann, ja, der Typ hat einen Klumpfuß!

Doch der Koletzki kümmert sich gar nicht um die Gaffer und Tuschler, humpelt schnurstracks auf die zweite Bank zu, wo noch ein Platz frei ist neben der M., ausgerechnet der Platz, den ich zu Anfang des Schuljahres aufgegeben hatte, weil ich damals lieber neben der P. sitzen wollte. In den Augen der M. sehe ich blanken Horror lodern. Albert ist für sie gewiss die allerletze Wahl als Banknachbar.

Neben mir starrt die P. den Kerl noch immer mit glasigem Blick an und murmelt: Scheiße, es trifft doch immer die Falschen! Und ich weiß nicht, was sie damit meint. Den Albert mit seinem Klumpfuß, oder die M. wegen des neuen Banknachbarn.

Warum?

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