Mittwoch, 19. Juli 2006

Die M.

Die M. kenne ich schon seit einer kurzen Ewigkeit. Im Sandkasten haben wir uns schon mal mit Förmchen beworfen und später dann mit gegenseitigen Vorwürfen, uns jeweils die Freunde ausgespannt zu haben. Seither sind ein paar Jahre vergangen und unsere Beziehung hat sich entspannt.

Viel unterwegs ist die M., sie kommt herum auf der Welt. Wenn sie anruft und sagt, sie sei wieder in der Stadt, dann treffen wir uns fast immer im Café am Marktplatz. Heute hat sie sich wieder gemeldet, die M. Ich sitze schon an einem der Tischchen auf dem Katzenkopfpflaster vor dem Café, als sie aus einem Taxi steigt.

Dunkelblaues Kostüm, weiße Bluse, dunkle Pumps und trotz der Hitze Seidenstrümpfe. Die langen Haare zu einem Knoten am Hinterkopf gesteckt, eine schmale Brille mit schwarzem Gestell auf der Nase. Die M. sieht immer aus wie das Fleisch gewordene Abziehbild einer Chefsekretärin, sagte Herr B. einmal. -- Oder eben wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau, dachte ich. Aber Männer denken in dieser Hinsicht eher eingleisig. Auf Gedankenschienen.

Ein wenig unsicher stöckelt die M. über das unebene Altstadtpflaster auf mich zu, ihr schwarzes Rollköfferchen wie ein müder Dobermann hinter ihr. Aber müde ist eher die M., die einen Kurztrip nach Tokio hinter sich und in den Knochen stecken hat. Sie setzt sich, hängt ihre Kostümjacke ordentlich über den Dobermann und pustet sich mit vorgeschobener Unterlippe eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Das hat sie schon immer gemacht, schon im Sandkasten, dieses Pusten. Nie mit den schmutzigen Händen ins Gesicht, das gibt sonst Pickel.

Einen doppelten Espresso und ein halbes Glas Weißwein später ist die M. wieder hergestellt. Als ich ihr das mit dem Abziehbild einer Chefsekretärin erzähle, lacht sie. So sind die Männer, sagt sie und erzählt mir davon, wie einer der männlichen Kollegen sie nach ihrer Beförderung zu openBC eingeladen hatte. Da muss man dabei sein, habe er geschwärmt. Natürlich dauere es ein bisschen, bis man dort seine Wurzeln finde zwischen zigtausenden von Unbekannten. Er habe immerhin nach drei Jahren eintausendfünfhundert Seitenabrufe gehabt.
M.s Augen blitzen kampflustig, als sie ihr Glas abstellt: Als ich mich bei openBC angemeldet habe, hatte ich nach einer halben Stunde über dreihundert Seitenabrufe, fünfzig Kontaktangebote und neun persönliche Nachrichten mit Einladungen zum Ausgehen. Was glaubst du, warum die alle bei mir angekopft haben? Etwa wegen meiner beruflichen Bedeutung?

Die wollten sie doch nicht etwa alle angraben, werfe ich ungläubig ein. Aber die M. winkt ab. Das Thema interessiert sie eigentlich nicht mehr. Lange Zeit über hatte sie die Rolle des Beutetieres bei der englischen Fuchsjagd gespielt. Zuerst waren die Kollegen wie die Hundemeute auf Treibjagd hinter ihr her gewesen, dann hatten sich ihre Chefs vornehm in roten Reiterfräcken und unter dem Deckmantel vorgeblichen väterlichen Schutzes an Sie heran gemacht. Das was von ihr danach noch übrig gewesen war, hatten Bellboys in Hotels und Taxifahrer anzumachen versucht, die zu viele Groschenromane über weibliche Bosse gelesen hatten.

Heute am Flughafen, beginnt die M. mit versonnener Stimme zu erzählen und dreht dabei das Weinglas in der Hand, so dass die sich brechenden Sonnenstrahlen bewegte Muster auf das Tischtuch und ihren blauen Kostümrock zeichnen, du wirst es nicht glauben, aber heute am Flughafen hat mir so ein Kerl an den Hintern gegriffen und mir ins Ohr geraunt, er würde mir für nen Fuffi einen Quickie auf der Damentoilette verpassen, den ich so schnell nicht vergessen würde.
Sie blickt mir in die Augen und sieht dort wohl die unausgesprochene Frage, ob sie es denn gemacht hätte. Denn plötzlich schmunzelt sie: Nein, noch bevor ich zu dem Schluss gekommen bin, dass die angemessenste Reaktion darin bestünde, dem dreisten Stricher eine zu kleben, hat er wohl in meinem Gesicht gesehen, dass er sich besser aus dem Staub machen sollte.

Die M. leert ihr Glas mit einem tiefen Schluck: Stell dir einmal meine Überraschung vor, als ich eine Viertelstunde später nach dem Näschenpudern aus der Toilette kam und dem gleichen Kerl begegnete, wie er einer Frau in meinem Alter aufs Klo folgte.
-- Du meinst, die haben dort drin gefickt?
Natürlich. Ich bin ihnen hinterher gegangen und hab mir das eine Weile durch die Stellwand getrennt aus nächster Nähe angehört.

Warum machst du das?, frage ich die M. nach einer Pause, die sich über gefühlte zehn Minuten gezogen hatte.
-- Du meinst, denen beim Ficken zuhören?
Nein, ich meine diesen Job, erkläre ich. Wieso tust du dir das alles an? Es kann doch nicht nur am Geld liegen? Um nichts in der Welt würde ich das Leben führen wollen, das du führst.

Lange sieht mich die M. nachdenklich an. Als sie antwortet, fallen die Worte langsam und vereinzelt aus ihrem Mund, als ob sie ein jedes für sich abgewägt hätte: Ich weiß es nicht mehr. Merkwürdig, nicht wahr? Anfangs war es reiner Stolz. Ich hatte es geschafft, mich gegen männliche Konkurrenten durchgesetzt. Später wollte ich denen mein Durchhaltevermögen beweisen. Mich würden sie nicht unterkriegen. Und inzwischen bin ich etabliert, wenigstens zum Teil anerkannt. Die, die mich nicht anerkennen, interessieren mich nicht und haben nicht die Macht, gegen mich zu intrigieren.

Erstaunlich aber ist, dass es mich jetzt nicht mehr interessiert. Meine Karriere interessiert mich nicht, das Nomadenleben, das ich führe, interessiert mich nicht und das Geld, das ich dafür bekomme, interessiert mich ebenfalls nicht mehr.

Die M. nimmt einen Schluck aus ihrem zweiten Glas Wein. Natürlich fragst du dich zu Recht, warum ich dann mein Leben nicht ändere. Ich habe mich das auch gefragt und dabei feststellen müssen, dass ich keine Alternative sehe, die mich überhaupt reizt.

Warum?

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