Freitag, 14. Juli 2006

Jeanne des Pédales

Bergauf. Ich hebe den Hintern vom Sattel und trete im Stehen in die Pedale. Vorbei geht es an einer drahtbeeselten Familie. Zuerst an Papa mit Helm, dann an Mama mit Helm und zum Schluss am Sohn mit Helm. Der ist vielleicht sechs und steigt ehrgeizig ebenfalls in die Pedale, als ich ihn überhole auf der Steigung.

Da legt die Mama auf einmal los in einer Stimmlage und Lautstärke, dass nur eine Schlussfolgerung erlaubt ist, nämlich die, dass sie die Synchronstimme von Godzilla ist: Was machste denn für nen Scheiß! Hör sofort auf damit, du Arsch!

Vor Schreck bin ich selber auf den Sitz zurück gesunken. Seither hat für mich die biografische Randnotiz, man habe keine einfache Kindheit gehabt, ein völlig andere Bedeutung.

+++

Murphys Wind Rose Law: Am Morgen auf dem Weg zur Arbeit bläst mir der steife Südwind ins Gesicht. Es geht bergab zum Glück und ich erfreue mich an dem Gedanken, dass mir der Wind am Abend den Heimweg mit Steigung erleichtern würde.

Es hätte mir da schon klar sein müsse, dass der Wind acht Stunden später auf Nord gedreht haben würde.

+++

Mann am linken Wegrand, Hund auf der rechten Seite, und ich seh die Teleskopleine zwischen den beiden nicht. Aber der Hund sieht mich. Sucht Schutz beim Herrchen und will noch vor mir queren. Zu spät!

Einen Herzschlag in Zeitlupe danach hab ich die schlapp auf dem Weg liegende Schnur zwischen Mann und Hund überquert.

Puh!

+++

Der blaue Blitz pirscht sich lautlos an, passiert die Schickse und schreit dabei: Rechts fahren!
Ich ärgere mich und rufe zurück: Klingeln!
Er nur so: Geht nicht, hab keine…

Den Rest versteh ich nicht mehr, weil der Blitz nach Durchbrechen der Schallmauer außer Hörweite ist.

Pöh!

+++

Im Fahrradgeschäft: Der Neffe bekommt sein Geburtstagsgeschenk, einen Helm mit Flammen drauf.

Glücklich sieht er mich mit seinem Helm in den Händen an und fragt: Kaufst du dir auch einen? Der Alarm in der Stimme der Fachverkäuferin ist nicht zu überhören: Ach, die Mama hat keinen Helm!?

Nein, die Mama Tante hat keinen Helm. Sie träumt aber nachts manchmal kafkaeske Träume mit verschwommenen Konturen und in Schwarzweiß. Träume, in denen Menschen mit zeitlupenartigen Bewegungen wie auf dem Mond die Gehwege entlang und über die Straßen gehen, auf denen kein einziges Automobil zu sehen ist. Diese Fußgänger tragen Motorradhelme. Alle. Bis auf die Tante. Die wacht zum Glück immer rechtzeitig auf, um die eigene Hinrichtung durch Lynchjustiz zu verpassen.

+++

Heute Morgen mit dem Kollegen zeitgleich am Fahrradunterstand vor dem Büro angekommen. Fünf Minuten auf ihn warten müssen, bis er endlich alle drei Fahrradschlösser angebracht, seinen Tacho, das Navi, die Luftpumpe, den Sattel, den Werkzeugkasten und zwei Fahrradtaschen abmontiert und verstaut hat.

Schäme mich ein wenig, weil ich nur ein einziges Schlösschen mit dünner, plastikbemantelter Kette abzuschließen hatte.

Später daran gedacht, dass es der Kollege nur zwei oder drei Kilometer von zu Hause hat.

Warum?

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