Teen-Ages (2)
Ist es die sagenumwobene Bergwelt oder die dünne Gebirgsluft, die die Gefühle in Wallungen bringt und die [...] Menschen plötzlich aus ihrem Leben ausbrechen lassen? [*] Frau Amadea spielt mit beim Film und mir fällt sofort der Urlaub ein, der sich sommernachtstraumartig fast meiner ganzen Familie bemächtigt hat vor vielen Jahren in den Schulferien nach der Entjungferung der P.
Die M. und ich waren natürlich extrem angefressen gewesen, dass uns ausgerechnet die P. die Butter vom Brot genommen hatte und uns beischlafend zuvor gekommen war. Es galt als ausgemacht zwischen der M. und mir, dass wir in den jeweiligen Ferienorten unsere Unschuld zu verlieren hatten. Alles andere wäre eine Schmach ohnegleichen.
Aber wie das eben so ist im Urlaub: Die dünne Gebirgsluft bringt eine auf ganz andere Gedanken, vor allem wenn der soziale Druck fehlt, den die Freundinnen zu Hause tagtäglich aufbauen. Wir verbrachten zwei Wochen in einer Pension am Ossiacher See --das war der pure Luxus für uns, damals--, und ich weiß nicht, ob es der shakespearsche Puck oder ein österreichischer Berggeist war, der den Sommernachtstraum für uns arrangierte.
Die große Schwester hatte sich kurzfristig ausgeklinkt, also teilten mein kleiner Bruder und ich uns ein Dreibettzimmer im ersten Stock über einer Garagenzeile am Nordhang des Sees. Beide Wochen haben sich in meiner Erinnerung auf die Nächte reduziert, so als ob eine vierzehntägige Sonnenfinsternis die Tage ausgelöscht hätte. In meinem Rückblick war es immer dunkel, die Zikaden sangen und es war angenehm warm.
Unsere Eltern hatten sich mit einem kinderlosen Pärchen aus Berlin angefreundet, was wir sehr bedauerten, nicht wegen Berlin, sondern weil auf den ständigen gemeinsamen Ausflügen keine altersgemäße Unterhaltung für uns Kinder parat war. Aber die Tage waren wie gesagt unbedeutend.
Abends saßen die Eltern mit ihren Freunden beim Wein zusammen und kümmerten sich überhaupt nicht mehr um Tochter und Sohn. Es war ihnen egal, ob wir ins Bett gingen oder uns bis nach Mitternacht herumtrieben. Warum das so war, sollte ich später herausfinden. Jedenfalls waren wir die losen Zügel nicht gewohnt und kosteten die Gelegenheiten aus bis zur Neige.
Mein Bruder und ich hatten uns mit zwei ortsansäßigen Kindern aus der Nachbarschaft angefreundet, mit denen wir in den Nächten durch die Lande zogen. Es gab viel zu entdecken für uns vier.
Am deutlichsten in Erinnerung ist mir bis heute der Abend, an dem ich mit Aaron, diesem Nachbarsjungen, zu zweit alleine zwischen den Wirtschaftsgebäuden unserer Pension und seiner Eltern Hof umherstrichen auf der Suche nach einer einsamen Ecke, was wir uns gegenseitig natürlich nie eingestanden hätten. Nicht dass wir in unserem zarten Alter vorgehabt hätten, Intimes zu veranstalten. Den Entjungferungsplan hatte ich längst zu den Akten gelegt und im Geiste zurück nach Deutschland geschickt. Trotzdem erhoffte ich jeden Abend, an dem wir meinen Bruder und die Schwester Aarons loswerden konnten, dass der Junge irgendeine Kühnheit wagen würde. Zum Beispiel einen Kuss. Wenigstens auf die Wange, wenn es zu mehr nicht reichte. Er aber wartete wahrscheinlich auf meine Initiative, und so schlichen wir sehnsüchtig durch die Nächte und umtanzten uns gegenseitig wie zwei magnetische Nordpole.
An diesem Abend also, an dem es knisterte wie noch nie zwischen Aaron und mir, liefen wir auf unserer Wanderung beinahe in zwei Menschen hinein, die sich hinter dem Schuppen der Pension einen wilden Ringkampf zu liefern schienen. Nur der Halbmond lieferte ein wenig Beleuchtung für die Szene, die Aaron und ich mit klopfenden Herzen beobachteten. Eine Frau saß auf dem Holzstapel, den Rücken an die Schuppenwand gelehnt, ihre Beine gespreizt gegen zwei Baumstümpfe gestemmt. Das Kleid war ihr bis zu den Hüften nach oben gerutscht und ein vor ihr stehender Mann drückte sich zwischen die Schenkel der Frau. Die beiden knutschten, stöhnten und schmatzten aneinander herum, dass ich zunächst dachte, der Mann tue der Frau Gewalt an. Aber als ich Aaron ansah, sagte der auf einmal: I hob denkt, dass dein Vota der and're wär?
Da sah auf einmal auch ich, was Aaron längst klar war: Die beiden Gestalten an der Schuppenwand waren meine Mutter und der Berliner!
Wenn ich auch fürchterlich erschrocken war über das, was ich in dieser Nacht gesehen hatte, wurde ich doch am nächsten Morgen beim Frühstück vollends verblüfft. Da saßen meine Eltern und die beiden Berliner beieinander, als sei alles in bester Ordnung. Alle vier taten so vertraut miteinander, dass ich Aaron im Nachhinein Recht geben musste: Ich hatte auch gedacht, mein Vater sei der andere!
Die Berlinerin aber klaubte meinem Papa einen Brötchenkrümel aus dem Schnauzer, meine Mutter legte dem anderen Mann Rührei nach und alle verstanden sich prächtig.
Ich hab sie dann ein paar Tage später angesprochen, zumindest meine Mutter, weil man fragt in solchen Angelegenheiten immer lieber die Mutter als den Vater. Ein wenig rumdrucksen musste ich schon, als ich ihr gestehen wollte, was ich da in der Nacht gesehen hatte. Da wurde sie auf einmal ganz ernst, die Mutter, und strich mir mit der Hand übers Haar. Ich sei vielleicht noch ein wenig jung dafür, sagte sie. Aber ich solle schon wissen, dass Papa und Mama sich immer noch sehr lieb hätten. Dass das aber nicht bedeuten müsse, dass man nicht auch Spaß mit anderen Menschen haben könne. Und dass es bestimmte Arten von Spaß gebe, bei denen man am liebsten zu zweit alleine sein wolle. Genau diese Art von Spaß habe sie mit dem Klaus gehabt, und der Papa ganz sicher auch mit der Steffi.
Mir ist an diesem Tag klar geworden, dass ich noch zu jung für diese Art von Spaß war. Und mit dem Aaron ist das dann auch nichts mehr geworden. Wir haben es zwar versucht, ein paar Abende vor dem Ferienende. In Panik vereint, nicht alles probiert zu haben, die brennende Neugier aufs Erwachsensein zu stillen, küssten wir uns hinter dem symbolträchtigen Schuppen. Jahre später, als ich den Rainman Dustin Hoffman im Kino sah, musste ich an diesen Moment mit Aaron denken: Das Küssen war sehr nass.
Alles was nach dem nassen Küssen noch kommen sollte, ging leider einfach nicht. Ungelenke Ansätze zu hemmungsloser Knutscherei endeten im Debakel, weil mir das Bild meiner Mutter mit diesem Klaus nicht aus dem Kopf wollte.
Nach der Heimkehr in den Kreis der Freundinnen hatte ich aber zumindest einen schön dicken, gelb-grünen Knutschfleck vorzuweisen; und zwar unter dem linken Schlüsselbein, nicht am Hals. Das brachte mir für kurze Zeit einen gewaltigen Aufmerksamkeitsbonus und den Nimbus des männermordenden Vamp ein. Gestanden habe ich nicht einmal der M. und der P., was ich mit Aaron alles erlebt, beziehungsweise eben nicht erlebt hatte. Herausgeredet habe ich mich; weder ja, noch nein hab ich gesagt. Aber auf dem Weg der stillen Post des Schulhoftratschens erreichten meine Affaire und ich bald den Status einer Mata Hari.
Außerdem heiße ich seit diesem Sommer bei allen Altersgenossen meines Umfeldes nur noch die Schickse. Geprägt hat diesen Kampfnamen der stille Paul. Als er erfuhr, ich hätte zwei Wochen lang Tag und Nacht nichts anderes gemacht, als mit einem gewissen Aaron zu vögeln, platzte es aus Paul heraus: Mit einem Aaron? Einem Juden? Die ist vielleicht eine Schickse!
Ach ja: Die M. hatte ihre Unschuld auch nicht verloren während der Ferien. Selbst wenn sie einen lahmen Versuch machte, uns irgendso eine Bumsgeschichte aufzutischen, weder die P. noch ich glaubten ihr auch nur ein Wort.
Der Paul hat übrigens wirklich Schickse gemeint und nicht etwa Schlampe, wie es damals von vielen anderen verstanden worden war. Denn Paul war selbst Jude, wie ich später erfahren habe. Und er wusste, was eine Schickse ist.
Die M. und ich waren natürlich extrem angefressen gewesen, dass uns ausgerechnet die P. die Butter vom Brot genommen hatte und uns beischlafend zuvor gekommen war. Es galt als ausgemacht zwischen der M. und mir, dass wir in den jeweiligen Ferienorten unsere Unschuld zu verlieren hatten. Alles andere wäre eine Schmach ohnegleichen.
Aber wie das eben so ist im Urlaub: Die dünne Gebirgsluft bringt eine auf ganz andere Gedanken, vor allem wenn der soziale Druck fehlt, den die Freundinnen zu Hause tagtäglich aufbauen. Wir verbrachten zwei Wochen in einer Pension am Ossiacher See --das war der pure Luxus für uns, damals--, und ich weiß nicht, ob es der shakespearsche Puck oder ein österreichischer Berggeist war, der den Sommernachtstraum für uns arrangierte.
Die große Schwester hatte sich kurzfristig ausgeklinkt, also teilten mein kleiner Bruder und ich uns ein Dreibettzimmer im ersten Stock über einer Garagenzeile am Nordhang des Sees. Beide Wochen haben sich in meiner Erinnerung auf die Nächte reduziert, so als ob eine vierzehntägige Sonnenfinsternis die Tage ausgelöscht hätte. In meinem Rückblick war es immer dunkel, die Zikaden sangen und es war angenehm warm.
Unsere Eltern hatten sich mit einem kinderlosen Pärchen aus Berlin angefreundet, was wir sehr bedauerten, nicht wegen Berlin, sondern weil auf den ständigen gemeinsamen Ausflügen keine altersgemäße Unterhaltung für uns Kinder parat war. Aber die Tage waren wie gesagt unbedeutend.
Abends saßen die Eltern mit ihren Freunden beim Wein zusammen und kümmerten sich überhaupt nicht mehr um Tochter und Sohn. Es war ihnen egal, ob wir ins Bett gingen oder uns bis nach Mitternacht herumtrieben. Warum das so war, sollte ich später herausfinden. Jedenfalls waren wir die losen Zügel nicht gewohnt und kosteten die Gelegenheiten aus bis zur Neige.
Mein Bruder und ich hatten uns mit zwei ortsansäßigen Kindern aus der Nachbarschaft angefreundet, mit denen wir in den Nächten durch die Lande zogen. Es gab viel zu entdecken für uns vier.
Am deutlichsten in Erinnerung ist mir bis heute der Abend, an dem ich mit Aaron, diesem Nachbarsjungen, zu zweit alleine zwischen den Wirtschaftsgebäuden unserer Pension und seiner Eltern Hof umherstrichen auf der Suche nach einer einsamen Ecke, was wir uns gegenseitig natürlich nie eingestanden hätten. Nicht dass wir in unserem zarten Alter vorgehabt hätten, Intimes zu veranstalten. Den Entjungferungsplan hatte ich längst zu den Akten gelegt und im Geiste zurück nach Deutschland geschickt. Trotzdem erhoffte ich jeden Abend, an dem wir meinen Bruder und die Schwester Aarons loswerden konnten, dass der Junge irgendeine Kühnheit wagen würde. Zum Beispiel einen Kuss. Wenigstens auf die Wange, wenn es zu mehr nicht reichte. Er aber wartete wahrscheinlich auf meine Initiative, und so schlichen wir sehnsüchtig durch die Nächte und umtanzten uns gegenseitig wie zwei magnetische Nordpole.
An diesem Abend also, an dem es knisterte wie noch nie zwischen Aaron und mir, liefen wir auf unserer Wanderung beinahe in zwei Menschen hinein, die sich hinter dem Schuppen der Pension einen wilden Ringkampf zu liefern schienen. Nur der Halbmond lieferte ein wenig Beleuchtung für die Szene, die Aaron und ich mit klopfenden Herzen beobachteten. Eine Frau saß auf dem Holzstapel, den Rücken an die Schuppenwand gelehnt, ihre Beine gespreizt gegen zwei Baumstümpfe gestemmt. Das Kleid war ihr bis zu den Hüften nach oben gerutscht und ein vor ihr stehender Mann drückte sich zwischen die Schenkel der Frau. Die beiden knutschten, stöhnten und schmatzten aneinander herum, dass ich zunächst dachte, der Mann tue der Frau Gewalt an. Aber als ich Aaron ansah, sagte der auf einmal: I hob denkt, dass dein Vota der and're wär?
Da sah auf einmal auch ich, was Aaron längst klar war: Die beiden Gestalten an der Schuppenwand waren meine Mutter und der Berliner!
Wenn ich auch fürchterlich erschrocken war über das, was ich in dieser Nacht gesehen hatte, wurde ich doch am nächsten Morgen beim Frühstück vollends verblüfft. Da saßen meine Eltern und die beiden Berliner beieinander, als sei alles in bester Ordnung. Alle vier taten so vertraut miteinander, dass ich Aaron im Nachhinein Recht geben musste: Ich hatte auch gedacht, mein Vater sei der andere!
Die Berlinerin aber klaubte meinem Papa einen Brötchenkrümel aus dem Schnauzer, meine Mutter legte dem anderen Mann Rührei nach und alle verstanden sich prächtig.
Ich hab sie dann ein paar Tage später angesprochen, zumindest meine Mutter, weil man fragt in solchen Angelegenheiten immer lieber die Mutter als den Vater. Ein wenig rumdrucksen musste ich schon, als ich ihr gestehen wollte, was ich da in der Nacht gesehen hatte. Da wurde sie auf einmal ganz ernst, die Mutter, und strich mir mit der Hand übers Haar. Ich sei vielleicht noch ein wenig jung dafür, sagte sie. Aber ich solle schon wissen, dass Papa und Mama sich immer noch sehr lieb hätten. Dass das aber nicht bedeuten müsse, dass man nicht auch Spaß mit anderen Menschen haben könne. Und dass es bestimmte Arten von Spaß gebe, bei denen man am liebsten zu zweit alleine sein wolle. Genau diese Art von Spaß habe sie mit dem Klaus gehabt, und der Papa ganz sicher auch mit der Steffi.
Mir ist an diesem Tag klar geworden, dass ich noch zu jung für diese Art von Spaß war. Und mit dem Aaron ist das dann auch nichts mehr geworden. Wir haben es zwar versucht, ein paar Abende vor dem Ferienende. In Panik vereint, nicht alles probiert zu haben, die brennende Neugier aufs Erwachsensein zu stillen, küssten wir uns hinter dem symbolträchtigen Schuppen. Jahre später, als ich den Rainman Dustin Hoffman im Kino sah, musste ich an diesen Moment mit Aaron denken: Das Küssen war sehr nass.
Alles was nach dem nassen Küssen noch kommen sollte, ging leider einfach nicht. Ungelenke Ansätze zu hemmungsloser Knutscherei endeten im Debakel, weil mir das Bild meiner Mutter mit diesem Klaus nicht aus dem Kopf wollte.
Nach der Heimkehr in den Kreis der Freundinnen hatte ich aber zumindest einen schön dicken, gelb-grünen Knutschfleck vorzuweisen; und zwar unter dem linken Schlüsselbein, nicht am Hals. Das brachte mir für kurze Zeit einen gewaltigen Aufmerksamkeitsbonus und den Nimbus des männermordenden Vamp ein. Gestanden habe ich nicht einmal der M. und der P., was ich mit Aaron alles erlebt, beziehungsweise eben nicht erlebt hatte. Herausgeredet habe ich mich; weder ja, noch nein hab ich gesagt. Aber auf dem Weg der stillen Post des Schulhoftratschens erreichten meine Affaire und ich bald den Status einer Mata Hari.
Außerdem heiße ich seit diesem Sommer bei allen Altersgenossen meines Umfeldes nur noch die Schickse. Geprägt hat diesen Kampfnamen der stille Paul. Als er erfuhr, ich hätte zwei Wochen lang Tag und Nacht nichts anderes gemacht, als mit einem gewissen Aaron zu vögeln, platzte es aus Paul heraus: Mit einem Aaron? Einem Juden? Die ist vielleicht eine Schickse!
Ach ja: Die M. hatte ihre Unschuld auch nicht verloren während der Ferien. Selbst wenn sie einen lahmen Versuch machte, uns irgendso eine Bumsgeschichte aufzutischen, weder die P. noch ich glaubten ihr auch nur ein Wort.
Der Paul hat übrigens wirklich Schickse gemeint und nicht etwa Schlampe, wie es damals von vielen anderen verstanden worden war. Denn Paul war selbst Jude, wie ich später erfahren habe. Und er wusste, was eine Schickse ist.
Wybergeschichten der schickse, dahingetippt so gegen 11 Uhr am 17. August 2006
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Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Beitrag die Antwort auf eine weiter zurückliegende Frage enthält.