Die P.
Wir waren ein inhomogenes Freundinnentrio, die M., die P. und ich. M's Vater war ein Karrieremensch, Anwalt mit internationaler Klientel, und verdiente einen Haufen Geld, das der Rest der Familie, also auch die M., großzügig ausgeben konnte. Man muss es der M. nachträglich hoch anrechnen, dass sie nie groß Aufhebens gemacht hat um ihre Kaufkraft, sondern immer mal ne Runde Eis stillschweigend bezahlte und gut war es. Ich hab mir auch nie was dabei gedacht, wenn die M. bezahlt hat. Hab es gerne mitgenommen, weil es bestimmt niemandem weh tat und weil die M. nie den Fehler gemacht hat, irgendwelche Gegenleistungen auch nur anzudeuten. Die P. aber hat die Großzügigkeit der Freundin nicht gerne akzeptiert. Meist brachte sie am nächsten Tag das ausgelegte Eisgeld mit und stritt so lange mit der M., bis diese die Münzen einsteckte, nur um dem aus ihrer Sicht unverständlichen Aufstand ein Ende zu bereiten.
Die P. wusste, was sie wollte. Schon als Mädchen. Dabei war sie diejenige von uns, die finanzielle Unterstützung manchmal ganz gut gebrauchen hätte können. Ihr Vater arbeitete als Briefträger in Schicksenhausen, und auch wenn man damals noch Beamter war als Postverteiler, fiel der Sold wohl nicht so üppig aus. Die P. bekam keinen Pfennig Taschengeld während der Schulzeit und beglich ihren Anteil an unseren Ausgaben immer am nächsten Tag. Zwischen der M. und der P. stand ich. Das darf man weniger als finanzielle Positionierung verstehen, auch wenn meine Eltern tatsächlich mehr Geld als die Familie der P. nach Hause brachten. Zwischen der M. und der P. soll viel eher heißen, dass unser Dreiergespann nur dann funktionierte, wenn ich dabei war. Sowohl die P., als auch die M. zogen schon mal mir mir allein zu zweit los. Aber die beiden anderen traten ohne mich nie gemeinsam auf.
M. und P. waren rein vom Äußeren her absolute Gegensätze. Während die M. groß, schlank und schön war und schon sehr früh das Auftreten einer selbstbewussten jungen Frau hatte, wirkte die P. immer hausbacken oder zumindest sehr unauffällig. Sie war pummelig, hatte ein reizloses Allerweltsgesicht und litt am meisten unter ihren Schnittlauchlocken, deren Farbe einfach nicht zu definieren war und irgendeinen Ton zwischen dunkelblond, hellbraun und grau hatte. Die P. machte selten Aufhebens um etwas. Sie war immer dabei als Nummer drei, machte alles mit, aber verlor kaum ein Wort darüber. Wo die M. und auch ich schon mal großes Trara veranstalteten mit Ankündigungen, die hinterher doch nicht eingehalten wurden, handelte die P. einfach. Ohne Aufhebens, pragmatisch. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte um unsere geplante Entjungferung. Die M. und ich zickten ja damals solange herum, bis P. mit den Achseln zuckend aufstand und einfach durchzog, was wir uns vorgenommen hatten. Dachten wir damals jedenfalls.
Ein oder zwei Jahre später habe ich die P. gefragt, was damals eigentlich abgelaufen sei. Ich sehe diese Gesprächsszene vor mir, als sei das gestern gewesen. Wir sitzen auf der Lehne einer Parkbank, ich mit rot gefärbten Haaren, die P. mit grünen, beide in zerschlissenen Jeans und Springerstiefeln und natürlich mit den unvermeidlichen Zigaretten in den Händen. Die M. hat diese Phase nicht mitgemacht, und ich bin zu der Zeit oft mit der P. zu zweit unterwegs.
Sie zieht an der Kippe und tritt den Stummel mit der Stiefelferse auf der Bank aus. Du und die M. habt einen Riesenaufstand gemacht wegen der Popperei damals, sagt die P., und der Rauch quillt ihr beim Reden in kleinen Wolken aus dem Mund. Klar wolltet ihr beide den Josef, habt aber auch beide nicht den Mumm gehabt. Oder, was ich ja glaube, ihr hattet keinen Mumm, die Nummer überhaupt zu bringen. Geredet habt ihr darüber wie die Großen, aber es auch machen? Nee…
Natürlich hat die P. Recht. Die M. und ich hatten große Töne gespuckt wie so oft und sie, die P. hat es schließlich ganz unspektakulär durchgezogen. Warum sie aber ausgerechnet den Paul ausgesucht habe, will ich von ihr wissen. Der habe doch die Anziehungskraft eines Mülleimers gehabt.
Die P. steckt sich die nächste Kippe zwischen die Lippen und sieht mir beim Anzünden tief in die Augen. Scheinbar findet sie dort den Ausdruck der gesuchten Vertrauenswürdigkeit, denn schließlich sagt sie: Hab ich doch gar nicht.
Wie? Was? Habe sie gar nicht? Ich sprudle los wie eine Flasche warmes Mineralwasser beim Aufdrehen des Verschlusses. Wir seien doch damals alle drei auf dem Schulhof beisammen gestanden, am letzten Schultag. Es gebe doch mindestens fünfzig Zeugen dafür, dass der Paul auf sie zugegangen sei, sie auf die Wange geküsst und um ein Andenken für die Ferien gebeten habe. Und sie habe dem Paul in die Augen gesehen, dabei ihr Halstuch aufgebunden und es ihm in die Hand gedrückt. Und ohne Ausnahme alle hätten den gigantischen Knutschfleck an ihrem Hals gesehen, als das Tuch runter war!
Die P. lacht glucksend neben mir auf der Bank. Was sollte ich denn machen? Ihr beide, M. und du habt euch doch schon schwer in den Haaren gehabt wegen dem Josef. Glaubst du im Ernst, ich wollte den nicht auch? Aber es wäre dann bestimmt aus und vorbei gewesen zwischen uns dreien. Ich glaube, inzwischen kannst du die Wahrheit vertragen. Mit dem Paul hab ich einen Deal gemacht. Ich hab ihm klipp und klar gesagt, dass ich mit ihm niemals schlafen würde, dass ihn keine von uns dreien je an sich heranlassen würde. Aber ich würde was für sein Image tun, wenn er mitspielen wollte. Also haben wir die kleine Andenkennummer auf dem Pausenhof gespielt. Sie raucht und sieht aus dem Augenwinkel zu mir herüber, und auf einmal geht mir ein Licht auf, und ganz langsam reihe ich meine Erleuchtung in Worte aneinander: Und in Wirklichkeit hast du mit dem Josef gepennt. Hast ihm wahrscheinlich erzählt, dass die M. und ich wohl niemals klar kommen würden, und wenn er ficken wollte, dann wärst immerhin du da für ihn. Und es würde auch keiner erfahren, weil du ja so schlau warst, die Show mit Paul einzufädeln.
Im ersten Augenblick der Erkenntnis bin ich entsetzt über die Durchtriebenheit der P. Aber noch während ich ausspreche, was sie da getan hat, sehe ich auf einmal die nackten Tatsachen hinter der Show. P. hat alles bekommen, was sie erreichen wollte: Josef für das erste Mal, trotzdem ihre beiden Freundinnen behalten und uns nicht mit dem ganzen Kram aufgewiegelt. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Ich schaue vorsichig rüber zur P. dort auf der Bank, auch aus den Augenwinkeln, so wie sie vorher, und wir beide beginnen zu grinsen und uns mit den Ellenbogen in die Rippen zu stoßen. Und schließlich kriegen wir uns gar nicht mehr ein, lachen bis uns die Tränen aus den Augen strömen und das teure Mascara verschmiert, aber wir können einfach nicht aufhören. Jedes Mal, wenn ich wieder an die M. denke, beginnt mich eine neue Lachsalve durchzuschütteln.
Was waren wir beide gegen die unscheinbare P. doch für Landeier!
Die P. wusste, was sie wollte. Schon als Mädchen. Dabei war sie diejenige von uns, die finanzielle Unterstützung manchmal ganz gut gebrauchen hätte können. Ihr Vater arbeitete als Briefträger in Schicksenhausen, und auch wenn man damals noch Beamter war als Postverteiler, fiel der Sold wohl nicht so üppig aus. Die P. bekam keinen Pfennig Taschengeld während der Schulzeit und beglich ihren Anteil an unseren Ausgaben immer am nächsten Tag. Zwischen der M. und der P. stand ich. Das darf man weniger als finanzielle Positionierung verstehen, auch wenn meine Eltern tatsächlich mehr Geld als die Familie der P. nach Hause brachten. Zwischen der M. und der P. soll viel eher heißen, dass unser Dreiergespann nur dann funktionierte, wenn ich dabei war. Sowohl die P., als auch die M. zogen schon mal mir mir allein zu zweit los. Aber die beiden anderen traten ohne mich nie gemeinsam auf.
M. und P. waren rein vom Äußeren her absolute Gegensätze. Während die M. groß, schlank und schön war und schon sehr früh das Auftreten einer selbstbewussten jungen Frau hatte, wirkte die P. immer hausbacken oder zumindest sehr unauffällig. Sie war pummelig, hatte ein reizloses Allerweltsgesicht und litt am meisten unter ihren Schnittlauchlocken, deren Farbe einfach nicht zu definieren war und irgendeinen Ton zwischen dunkelblond, hellbraun und grau hatte. Die P. machte selten Aufhebens um etwas. Sie war immer dabei als Nummer drei, machte alles mit, aber verlor kaum ein Wort darüber. Wo die M. und auch ich schon mal großes Trara veranstalteten mit Ankündigungen, die hinterher doch nicht eingehalten wurden, handelte die P. einfach. Ohne Aufhebens, pragmatisch. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte um unsere geplante Entjungferung. Die M. und ich zickten ja damals solange herum, bis P. mit den Achseln zuckend aufstand und einfach durchzog, was wir uns vorgenommen hatten. Dachten wir damals jedenfalls.
Ein oder zwei Jahre später habe ich die P. gefragt, was damals eigentlich abgelaufen sei. Ich sehe diese Gesprächsszene vor mir, als sei das gestern gewesen. Wir sitzen auf der Lehne einer Parkbank, ich mit rot gefärbten Haaren, die P. mit grünen, beide in zerschlissenen Jeans und Springerstiefeln und natürlich mit den unvermeidlichen Zigaretten in den Händen. Die M. hat diese Phase nicht mitgemacht, und ich bin zu der Zeit oft mit der P. zu zweit unterwegs.
Sie zieht an der Kippe und tritt den Stummel mit der Stiefelferse auf der Bank aus. Du und die M. habt einen Riesenaufstand gemacht wegen der Popperei damals, sagt die P., und der Rauch quillt ihr beim Reden in kleinen Wolken aus dem Mund. Klar wolltet ihr beide den Josef, habt aber auch beide nicht den Mumm gehabt. Oder, was ich ja glaube, ihr hattet keinen Mumm, die Nummer überhaupt zu bringen. Geredet habt ihr darüber wie die Großen, aber es auch machen? Nee…
Natürlich hat die P. Recht. Die M. und ich hatten große Töne gespuckt wie so oft und sie, die P. hat es schließlich ganz unspektakulär durchgezogen. Warum sie aber ausgerechnet den Paul ausgesucht habe, will ich von ihr wissen. Der habe doch die Anziehungskraft eines Mülleimers gehabt.
Die P. steckt sich die nächste Kippe zwischen die Lippen und sieht mir beim Anzünden tief in die Augen. Scheinbar findet sie dort den Ausdruck der gesuchten Vertrauenswürdigkeit, denn schließlich sagt sie: Hab ich doch gar nicht.
Wie? Was? Habe sie gar nicht? Ich sprudle los wie eine Flasche warmes Mineralwasser beim Aufdrehen des Verschlusses. Wir seien doch damals alle drei auf dem Schulhof beisammen gestanden, am letzten Schultag. Es gebe doch mindestens fünfzig Zeugen dafür, dass der Paul auf sie zugegangen sei, sie auf die Wange geküsst und um ein Andenken für die Ferien gebeten habe. Und sie habe dem Paul in die Augen gesehen, dabei ihr Halstuch aufgebunden und es ihm in die Hand gedrückt. Und ohne Ausnahme alle hätten den gigantischen Knutschfleck an ihrem Hals gesehen, als das Tuch runter war!
Die P. lacht glucksend neben mir auf der Bank. Was sollte ich denn machen? Ihr beide, M. und du habt euch doch schon schwer in den Haaren gehabt wegen dem Josef. Glaubst du im Ernst, ich wollte den nicht auch? Aber es wäre dann bestimmt aus und vorbei gewesen zwischen uns dreien. Ich glaube, inzwischen kannst du die Wahrheit vertragen. Mit dem Paul hab ich einen Deal gemacht. Ich hab ihm klipp und klar gesagt, dass ich mit ihm niemals schlafen würde, dass ihn keine von uns dreien je an sich heranlassen würde. Aber ich würde was für sein Image tun, wenn er mitspielen wollte. Also haben wir die kleine Andenkennummer auf dem Pausenhof gespielt. Sie raucht und sieht aus dem Augenwinkel zu mir herüber, und auf einmal geht mir ein Licht auf, und ganz langsam reihe ich meine Erleuchtung in Worte aneinander: Und in Wirklichkeit hast du mit dem Josef gepennt. Hast ihm wahrscheinlich erzählt, dass die M. und ich wohl niemals klar kommen würden, und wenn er ficken wollte, dann wärst immerhin du da für ihn. Und es würde auch keiner erfahren, weil du ja so schlau warst, die Show mit Paul einzufädeln.
Im ersten Augenblick der Erkenntnis bin ich entsetzt über die Durchtriebenheit der P. Aber noch während ich ausspreche, was sie da getan hat, sehe ich auf einmal die nackten Tatsachen hinter der Show. P. hat alles bekommen, was sie erreichen wollte: Josef für das erste Mal, trotzdem ihre beiden Freundinnen behalten und uns nicht mit dem ganzen Kram aufgewiegelt. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Ich schaue vorsichig rüber zur P. dort auf der Bank, auch aus den Augenwinkeln, so wie sie vorher, und wir beide beginnen zu grinsen und uns mit den Ellenbogen in die Rippen zu stoßen. Und schließlich kriegen wir uns gar nicht mehr ein, lachen bis uns die Tränen aus den Augen strömen und das teure Mascara verschmiert, aber wir können einfach nicht aufhören. Jedes Mal, wenn ich wieder an die M. denke, beginnt mich eine neue Lachsalve durchzuschütteln.
Was waren wir beide gegen die unscheinbare P. doch für Landeier!
Wybergeschichten der schickse, dahingetippt so gegen 8 Uhr am 4. August 2006