Sommer auf Rügen (3)

Inspektor Sonderburg war ernüchtert. Der Mord an diesem Christof Sander erwies sich als harter Brocken. Tatsache war, dass der Wissenschaftler Prof. Dr. Ch. Sander in seinem fünfzundvierzigsten Lebensjahr an einem Terrassentisch eines Hotels auf Rügen durch einen Pistolenschuss in den Rücken getötet worden war. Das Opfer hinterließ keine Verwandten, er war unverheiratet, kinderlos, hatte keine Geschwister, Counsins oder Cousinen, seine Eltern waren bereits vor Jahren verstorben. Auch persönliche Freundschaften schien Sander nicht gepflegt zu haben. Die einzigen Menschen, die den Leichnam am Montag nach der Tat identifizieren konnten, waren die ehemaligen Arbeitskollegen Sanders. Ehemalig deshalb, weil es ebenfalls den Tatsachen entsprach, dass der Forscher drei Monate zuvor aus dem Dienst an der Universität ausgeschieden war. Grund dafür waren seine in hohem Maß umstrittenen Thesen zum wissenschaftlichen Beleg der menschlichen Wiedergeburt gewesen.

Kopfzerbrechen bereiteten Mathias Sonderburg vor allem die Schilderungen zum Tathergang, oder besser gesagt: die fehlenden Zeugenberichte zur Tat. Das Mordopfer war aus nächster Nähe durch einen Pistolenschuss hingerichtet worden. Keiner der anwesenden vierundzwanzig Zeugen hatte jedoch einen Schuss gehört. Dieser Umstand konnte noch durch die Verwendung eines Schalldämpfers erklärt werden. Allerdings schien auch niemand den Mörder gesehen zu haben.

Wiederholte, langwierige Befragungen hatten schließlich ergeben, dass möglicherweise kurz vor dem Todesschuss ein Mann über die Terrasse in das Hotelgebäude gegangen war. Eine einigermaßen übereinstimmende Personbeschreibung war jedoch nicht zu erhalten gewesen. Die Mehrzahl der Zeugen glaubte sich daran zu erinnern, dass der Mann möglicherweise jung gewesen sei, um die zwanzig vielleicht? Andere wiederum sprachen von einem etwa Sechzigjährigen. Über Kleidung und Haarfarbe gab es so viele verschiedene Aussagen, dass Sonderburg keine einzige davon zu Protokoll nehmen wollte. Schnell klären ließ sich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem Verdächtigen nicht um einen Hotelgast gehandelt hatte.

Offenbar hatte ein Phantom Christof Sander erschossen und war danach spurlos verschwunden. Sonderburg war nicht nur ernüchtert, er war vielmehr verzweifelt.


Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit der ›eingeleiteten Wiedergeburt‹?, wandte er sich an Marietta Krüger, um nach einem altenativen Ansatzpunkt zu haschen. Gibt es da irgendetwas, was uns zu einem Mordmotiv führen könnte? Du hast doch Ahnung von Sanders Theorien, lass mal was raus!

Marietta zog die Braue nach oben und begann zu dozieren: Ich mach es kurz und damit vielleicht ein wenig unscharf, Mathias. Das Kernstück der Thesen von Professor Sander besteht in der Aussage, dass er es für möglich hält, seine eigene Persönlichkeit in andere Menschen zu verpflanzen. Er ist davon überzeugt, dass man mit dem eigenen Blut, einer geeigneten Reagenzsubstanz und den richtigen chemischen Prozessbeschleunigern einen Wirkstoff herstellen kann, der --einer anderen Person injiziert-- die eigenen Gene in einer Art und Weise überträgt, dass die ursprüngliche Erbinformation des Empfängers ausgelöscht und ersetzt wird durch die des Spenders. Dieser Prozess funktioniere desto besser, je jünger der Empfänger sei, weil bei jungen Menschen Zelltod und -teilung rascher und umfassender erfolgten.
Hm, so eine Art nachträgliches Klonen also?, warf Sonderburg ein. Dieses ganze Forschungsgelabere war ihm höchst suspekt. Lauter Quacksalber waren das, Spinner. Aber das musste ja nicht bedeuten, dass nicht der Mörder in den Kreisen der Wissenschaftler zu finden sein konnte.

Ja, nachträgliches Klonen könnte man das nennen, fuhr die Krüger fort. Aber das wäre nur die Hälfte der gesamten These. Sander glaubte darüber hinaus, einmal nachweisen zu können, dass sich mit der Erbinformation über den Blutweg auch die gesamte Erfahrung und das Wissen des Spenders auf den Empfänger übertragen ließ. Das würde bedeuten, dass du deine kriminalistischen Fähigkeiten, deinen gesamten Erfahrungsschatz an einen anderen weitergeben könntest.
Ewiges Leben durch Reinkarnation in immer wieder neuen Leibern? Mathias Sonderburg lächelte versonnen. Wenn seine Ex-Frau hier wäre, würde ihr schon beim bloßen Zuhören einer abgehen. Allein schon aus Trotz fügte er deshalb hinzu: So einen gigantischen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört!

Ob das ewiges Leben wäre, ist die Frage, die am schwierigsten zu beantworten ist. Mariettas Augenbraue kletterte immer höher die Stirn hinauf. Die Kernfrage ist, ob mit deiner Erbinformation und deinem Wissen auch deine Seele weitergegeben würde. Ich weiß nicht, wie ich das plastisch machen soll. Würde das ein zweites Du sein, das da geschaffen würde. Wie würdet ihr beide miteinander auskommen? Würde das neue Du unter umständen versuchen, dir Schaden zuzufügen? Oder wäret ihr sozusagen eine Person in zwei Körpern, unfähig einander Böses zu wollen? Kann der Selbsterhaltungstrieb auf zwei Individuen aufgeteilt werden? Fühltest du dich als eine Entität in zwei Personalausprägungen?

Inspektor Sonderburg schluckte. Eine derartig komplexe und verwirrende Geschichte war ihm noch nie untergekommen. Dass das mal von vornherein klar ist, Marietta, polterte er. Ich bin hundertprozentig überzeugt davon, dass diese Wiedergeburtsidee kompletter Nonsense ist, reiner und gequirlter Irrsinn. Aber ich sehe eine recht gute Chance darin, den Mörder in den erweiterten Kreisen der Kollegen zu suchen, die mit Sander im Clinch lagen.
Oder in sonstigen Gruppierungen, die ein Interesse daran haben könnten, Sanders Entdeckung zu verschleiern. Ergänzte Marietta Krüger mit bedeutungsvollem Blick. Zum Beispiel die Kirchen.


Heiliger Strohsack! Die kleine Krüger hatte Recht. Sonderburg erkannte jetzt, welches Polarisierungspotenzial die sanderschen Thesen hatten. Auch wenn der Mann keine persönlichen Feinde hatte. Den Tod hätten ihm vielleicht gar die halbe Menschheit an den Hals gewünscht, wenn seine Forschungen erst einmal für ein breites Publikum publik geworden wären.

Dabei fiel ihm erneut Regina Zölis ein. Die saubere Dame, die mit Sander im Moment seines Todes an einem Tisch gesessen war, wusste etwas über diese Reinkarnationsgeschichten. Bei ihr würde Sonderburg erneut den Hebel ansetzen. Und zwar kräftig.

Warum?

Nicht zu bloggen ist auch keine Lösung.
Und wenn es wirklich unbedingt sein
muss, schreiben Sie mir halt.
Oder Sie lassen mal für
sich lesen: RSS

Passierschein

Lust zu kommentieren?
Bitte anmelden:

Letzer Lesersenf

ja wo laufen sie denn...
ja wo laufen sie denn hin?
Fjaellet - 23. Dez, 16:21
ja wo laufen sie denn?
ja wo laufen sie denn?
Fjaellet - 5. Nov, 22:04
Diesen Eindruck hatte...
Diesen Eindruck hatte ich ja in der vergangenen Diskussion...
Der Mister - 25. Okt, 16:43
Nö, nicht ganz alleine....
Nö, nicht ganz alleine. Aber halllo. Ich sag nur nix...
neo-bazi - 21. Okt, 07:35
Hallo?
... *echo* ... Bin ich denn ganz alleine hier übrig...
Exzenter - 18. Okt, 19:00
Was ist denn nun?
So lang kann doch kein Mensch Urlaub machen, Frau Schickse?...
Exzenter - 14. Okt, 22:24
Respekt,
Frau Schickse. Mir ist auch ein paarmal der Unterkiefer...
Exzenter - 9. Okt, 23:56

Unten auf der Straße

Suche

 

Geburtsurkunde

Die Schickse ist 6509 Tage alt
und seufzte zuletzt am 23. Dez, 16:21

Verkehrszählung

kostenloser Counter


Alltag
Erfunden
Im Spiegel
Jobbereibach
Männersachen
Modernes Leben
Werchzeugkasten
Wybergeschichten
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren